Falsche Schmeicheleien

TRIGGER-WARNUNG:
Sexualisierte Gewalt, Vergewaltigung, Belästigung
Es gibt eine stillschweigende Übereinkunft darüber, dass Menschen mit normschönen Körpern und sogenannter ‚aufreizender‘ Kleidung häufiger Zielscheibe sexueller Belästigung werden. Dass diese ideologisch als ‘Kompliment’ abgetan wird, ist auch von den Opfern internalisiert worden.

Unter dem Slogan ‚she was asking for it’ wurde schon oftmals Victim-Blaming bei sexualisierten Übergriffen betrieben, d.h. die Praxis, den Opfern die Schuld für das Vergehen der Täter:innen zu geben. Dafür werden verschiedene Vorwände inszeniert, wie das scheinbare Recht auf Sex in der Ehe oder die Gefahr des Übergriffs durch den bloßen nächtlichen Aufenthalt im öffentlichen Raum. Doch es gibt wohl keinen anderen Vorwand, der eine so starke Wirkung entfaltet wie das Aussehen: Nach wie vor wird in Gerichtssälen die immergleiche Frage gestellt: Was hattest du an?

Dieses Victim-Blaming scheint sogar längst vor einer Tat stattzufinden: Vor einigen Jahren sorgte ein Video der Polizei in Ungarn für Furore, das mit dem Spruch „Sie können auch etwas dafür“ unterstellte, dass das Vergewaltigungrisiko mit aufreizender Kleidung steige. Doch es ist nicht nur die Kleidung, sondern auch das körperliche Aussehen (Lookismus), das in die Beurteilung der Tat einfließt; So ist es kaum verwunderlich, dass gerade ältere Menschen als Opfergruppe sexualisierter Gewalt vernachlässigt werden. Wird die Normschönheit zur Bedingung für das Scheinargument, dass das Aussehen ‚gereizt‘ hätte, werden nicht nur nicht-normschöne Opfer sexualisierter Gewalt völlig bagatellisiert, sondern auch stillschweigend davon ausgegangen, man habe diesen Menschen einen ‚Gefallen‘ getan, da sie ansonsten nicht in den Genuss sexueller Aufmerksamkeit gekommen wären.

Diese implizite Verzahnung von Normschönheit, Aussehen und sexualisierter Gewalt, findet sich auch im Bereich der sexuellen Belästigung. Während sexueller Missbrauch jedoch weitläufig geächtet (wenn auch nicht wirklich kriminalisiert) wird, gilt das für die sexuelle Belästigung weniger: Zwar wird sie von immer weniger Menschen befürwortet, dennoch nicht aktiv bekämpft. Dies schlägt sich auch gesetzlich darin nieder, dass es – im Gegensatz zu Frankreich – in Deutschland keinen juristischen Tatbestand für Catcalling gibt, wenn dieses keine explizite Beleidigung wie etwa ‚Schlampe‘ enthält. Der Paragraph §184i, der den Strafbestand der sexuellen Belästigung regelt, wurde entsprechend erst vor wenigen Jahren ins Gesetzbuch aufgenommen (und das, interessanterweise, kurz nach den Geschehnissen der Silvesternacht 2015/2016 in Köln). Dass diese juristische Unterstützung den Alltag vieler FLINTA* nicht gerade verbessert, ist selbstredend: Wer würde schon jeden zweiten Tag zur Polizeistation rennen, um wahrscheinlich gleich mehrere Anzeigen zu erstatten? Die fehlende Unterstützung leitet sich nicht zuletzt von der relativen Toleranz gegenüber sexuellen Belästigungen ab; so heißt es oft genug, es sei schließlich ein Kompliment gewesen; darüber sollte sich das Opfer schließlich freuen. Genau hierin verbirgt sich die angesprochene Verzahnung von Normschönheit, Aussehen und sexualisierter Gewalt. Was jedoch, wenn sich das Opfer von der Belästigung geschmeichelt fühlt?

Dies betrifft den fiktiven Charakter Carrie der Comedyserie King of Queens; in der Episode ‚Deconstructing Carrie‘ rückt Carries 35. Geburtstag näher, was in ihr schlechte Laune auslöst; sie fühlt sich nämlich alt, was sie daran bemerkt, dass sie nicht mehr dasselbe ‚Feedback‘ erhält wie früher. So beschwert sie sich, nicht mehr in der U-Bahn angegrapscht zu werden und auch die Bauarbeiter, denen sie an der Baustelle nebenan jeden Tag begegnet, ihr noch kein einziges Mal hinterhergepfiffen haben. Um ihren Selbstwert wiederherzustellen, reicht es jedoch nicht, dass ihr Mann Doug ihr sagt, wie schön sie sei; das ‚zähle‘ nicht: Die Bestätigung muss von außen kommen! Doug kommt daher – nicht ganz uneigennützig – auf die Idee, die Bauarbeiter nebenan mit Doughnuts zu bestechen, damit auch er selbst nicht mehr unter ihrer schlechten Laune leiden muss. Treffend paraphrasiert ein Bauarbeiter seine Bitte: „You want us to sexually harass your wife?“, was Doug mit einem „Bingo“ beantwortet. Als Carrie von der Arbeit nach Hause kommt und jene Baustelle passiert, fliegen ihr folglich anzügliche Beschimpfungen entgegen. Zuerst schaut sie irritiert, doch schließlich entlockt es ihr ein Lächeln. Carries Laune geht wieder nach oben und der Hausfrieden ist wiederhergestellt.

Die Episode inszeniert die alltägliche sexuelle Belästigung als Kontrollmechanismus, der nicht nur äußerlich eine Einschätzung darüber geben soll, wie sexuell begehrenswert ein Körper ist, sondern auch innerlich für die betroffene Person. Diese Kontrolle soll jedoch nicht von ungefähr kommen: Carries hinterherpfeifende Bauarbeiter symbolisieren gesellschaftlich ‚einfach gestrickte Proletarier‘, die triebgesteuert, fast animalisch ihre Lust zur Schau stellen (was als Klischee von der Serie durchkreuzt wird, als sich herausstellt, dass einer der Bauarbeiter im Gegensatz zu Doug weiß, was ‚sexual harassment‘ ist). Die maskuline Gender-Performance ist Bestandteil ihres Stereotyps und diese Performance ist schließlich auch das, was die Belästigung eigentlich definiert (und nicht etwa der Ausdruck eines Interesses an dem Opfer): die Zurschaustellung der eigenen Potenz, der nicht schlicht funktionierenden, sondern tüchtigen Libido und des Besitzes des maskulin markierten Hormons Testosteron. Doch noch viel mehr als alles andere ist diese Performance eine Machtdemonstration, die klar aussagt: Es gibt diejenigen, die als Subjekte ihre Objekte auswählen und diejenigen, die passiv als Objekte von Subjekten ausgewählt werden. Die Folie ‚Begehrt-werden-wollen‘ und ‚Begehren‘ wird binär auf Opfer/Täter:in und auf die ebenso binäre Aufteilung weiblich/männlich gelegt. Carrie möchte nur vergewissern, dass ihre Weiblichkeit über das ‚Begehrt-werden-wollen‘ sichergestellt wird. Dass diese Vergewisserung durch die derben Beispiele von U-Bahn-Angrapschereien und hinterherjaulenden Bauarbeitern laufen sollte, ergibt insofern Sinn, dass diese Maskulinität symbolisieren. Anzumerken ist, dass diese Rollen nicht zwangsläufig mit der Geschlechteridentität zusammenfallen müssen; eher sind es maskulinisierte und feminisierte Konstrukte von Opfer/Täter:in, aktiv/passiv, Subjekt/Objekt, die folienartig auf verschiedene Geschlechtsidentitäten angewendet werden; binär sind also hier nicht die Geschlechter, die belästigen/belästigt werden, binär ist eher die Performance und Eigenlogik der sexuellen Belästigung, die jeweils feminin und maskulin konnotiert ist – ohne hier verkennen zu wollen, dass je nach Geschlechtsidentität sich spezifisch andere Situationen ergeben können; durch eine Belästigung als weiblich gelesene:r Non-Binary in eine feminisierte Rolle hineingedrückt zu werden, löst sicherlich einen anderen Schmerz aus als für eine cis Frau. Gerade nicht-cis-geschlechtliche Menschen werden durch solche Rollenzuweisungen einer cis-geschlechtlichen Norm unterworfen.

Doch in Carries Fall ist klar: Der Wunsch die Geschlechtsidentität zu performieren, besteht auf ‚beiden Seiten‘ dieser binarisierten Genderperformance. Und der Grund ist leicht zu erahnen: Im Zusammenwirken von ‚objektifizieren‘ und ‚objektifiziert-werden-wollen‘ wird heteronormatives Verhalten par excellence vorgeführt. In der Zeichentrickserie American Dad! wird dies polemisch in dem Lied I Wanna be Seen aufgegriffen, wo es um das ‚außereheliche‘ Hinterherschauen weiblich gelesener Menschen geht, das ausschließlich von männlich Gelesenen vollzogen wird. Dabei handelt es sich um einen Gerichtsprozess, in dem die Jury ausschließlich aus weiblich gelesenen Menschen besteht, während der Angeklagte zu beweisen versucht, dass jeder ‚Guy‘ ‚rubbernecking‘ betreibt:


Guy 1: Yo fellas, so what my girl wants to wear a short skirt. It be hot in Virginia.
Woman 1: I'm gonna wear a skirt.
Jury member 1: Me too, I wanna be seen
Judge: You look like a prostitute but it's not obscene
Hayley: If I've got the goods and my body's rockin'
Jury: Ain't nothing wrong with window shopping
Jury member 2: I get looked at all the time
Like tons, and tons, and tons of times
How much is normal to get looked at?
You can double that
That's how much I get looked at
It's...pretty annoying sometimes, but you live [with it] [sic!] when you're heckofa good looking...
Guys: See, rubbernecking just ain't no crime
Jury: We're doing it just to pass the time
Guys: We might look
But you'll go home with only me [...]

Quelle: americandad.fandom.com


---Versuch einer Übersetzung----


Typ 1: Hey Leute, was solls? Mein Girl will einen kurzen Rock tragen. Dann wird es heiß in Virginia.
Frau 1: Ich werde einen Rock tragen
Jury Mitglied 1:Ich auch, ich will gesehen werden!
Richter:in:Du siehst aus wie eine Prostituierte, aber es ist nicht obszön
Hayley:Ich habe was man braucht für einen heißen Körper
Jury: Nichts auszusetzen an ein wenig Schaufensterbummeln
Jury Mitglied 2:Ich werde die ganze Zeit angesehen
Also sehr, sehr, sehr viel
Ab wann ist es nicht mehr normal noch angeschaut zu werden?
Das kannst du verdoppeln
Genau so viel werde ich angeglotzt
Es ist manchmal super nervig, aber du lebst einfach damit wenn du verdammt gut aussiehst

Typen:Seht ihr, sich nach jemanden umdrehen ist kein Verbrechen!
Jury:Wir machen’s nur, um die Zeit zu vertreiben
Typen: Wir mögen zwar gucken, aber nach Hause gehst du nur mit mir allein.
But you'll go home with only me
[...]


‚Rubbernecking‘ soll Teil einer gesunden Sexualität und monogamen (hetero-)Ehe darstellen, der nicht verleugnet werden müsse. Interessanterweise wird hier subtil darauf hingedeutet, dass die weiblich Gelesenen weniger von dieser Praxis profitieren („It’s pretty annoying sometimes […]“) als die ‚Guys‘, und das ist auch bei Doug und Carrie der Fall: Durch ihre gute Laune kocht sie ihm nämlich wieder Steaks und Doug konnte sich der Belastung der emotionalen Fürsorge um Carries Angst vor dem Altern entledigen.

Doch mag die Heteronormativität bei Doug und Carrie ihr Ziel erreicht haben, bleibt dennoch die Frage: Will Carrie wirklich belästigt werden? Wenn die Optionen Begehrt-werden-wollen/begehren binär verteilt sind, so performiert sie ihr Gender offenbar besser, wenn sie belästigt wird. Die Vorstellung, dass die Frau mit zunehmendem Alter ihre Fruchtbarkeit und gewissermaßen auch ihr Geschlecht als Ganzes verlieren würde, reproduziert sich in diesem Bild: Jung und schön muss man sein, um belästigt zu werden. Was also als Kompliment aufgefasst wird, ist weniger ein Kompliment für das Aussehen als solches, als dafür, dass jemand seinen Platz als Objekt ‚gut‘ – vielleicht entsprechend seines*ihres Geschlechts – ausfüllt. Hinsichtlich dessen lassen sich ebenfalls die Reaktionen lesen, wenn sich diese ‚Objekte‘ zur Wehr setzen und sich so ihren Weg in die Subjektivität - d.h. Handlungsfähigkeit schlagen: Wenn sie nicht gerade beleidigt gehen oder eine Beschimpfung parat haben, heißt es, dass die*der Belästigte hässlich sei und damit daran scheitere, die Rolle eines legitimen Begehrens-Objekts ausfüllen zu können.

Möchten wir deshalb Carrie das Verlangen nach Aufmerksamkeit absprechen? Es scheint ja diese spezifische Form der Aufmerksamkeit zu sein, die sowohl herabwürdigend ist als auch potenziell das Gefühl des Geschmeichelt-Seins auslöst. Wenn das Streben nach dem ‚begehrt-werden‘ sozial antrainiert wurde, führt dies nicht selten zur inneren Zerrissenheit: Mir haben verschiedene Freund:innen berichtet, dass sie in solchen Situationen oftmals aus Reflex ‚danke‘ sagen, während sie innerlich hoffen, dass die Belästiger:innen der Blitz trifft. Und auch bei denjenigen, die davon berichten, sich tatsächlich geschmeichelt zu fühlen, gilt, dass sich die Bedeutung nicht automatisch ändert, nur weil ‚Frau‘ oder [setze Geschlecht ein] diese Form der Dominanz genießt. Und vielleicht ist sogar beides möglich; denn sich kurz in die Fantasie hineinzubegeben, man wäre wirklich auserwählt, der schönste Mensch im ganzen Land zu sein, ist sicherlich etwas, das der*dem ein:e oder andere:n schon passiert ist…

Dass die ungewollte Bewertung des Körpers in Form der sexuellen Belästigung mit der Bewertung des Aussehens verwechselt wird, ist kein Zufall, denn dies folgt der Formel: Ein begehrenswerter Körper ist ein schöner Körper. Und zwar schön gemessen an der gesellschaftlichen Norm. Die in der Belästigung eingeschlossene Machtdemonstration wird dort übersehen, wo von Komplimenten die Rede ist; insofern ist das Aussehen das perfekte ideologische Outlet, um diese Machtdemonstration zu legitimieren und um sich sogar – ganz Stockholmsyndrom-Style – als Betroffene:r selbst diese Herabwürdigung zu wünschen. Ohne Menschen dafür verurteilen (und ihnen pauschal das Stockholmsyndrom unterstellen) zu wollen, wird diese Ideologie schwer entlarvt, wenn sich Menschen weiterhin geschmeichelt fühlen. Doch entspringt Carries Charakter ebenfalls einem männlichen Wunschdenken, demnach sich Frauen nur über einen männlichen Blick definieren wollen. Die meisten Menschen fühlen sich tatsächlich nicht geschmeichelt und viel schmerzhafter ist es doch, dass einem das Geschmeichelt-Sein unterstellt wird. In diesem Sinne könnte vielleicht die wirksamste Selbstverteidigung darin bestehen, klarzustellen, dass das Begehren der Belästiger:innen für einen wirklich wertlos ist.

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Essay
09/2021, Ila Mägdefrau




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