Im Dienst

»Fallengelassen wie eine heiße Kartoffel hat er mich. Dabei bin ich nicht einmal Deutsche. Kartoffel, meine ich. Wozu auch die Quälerei? Entweder es läuft oder eben nicht. Halbe Sachen mag ich nicht. Will ich nicht«, Prija bleckt die Zähne, die weiß hinter ihren knallroten Lippen hervorblitzen.

»Diese Freundin von mir hatte mal was mit diesem Kerl, irgendwann meldete er sich nicht mehr zurück. Einfach so, von einem Tag auf den anderen. Es gab keine Anzeichen. Eisprinzessin, die sie ist, wollte sie sich nicht als erste melden. Und dann, als sie es nach drei geduldsamen Wochen doch tat: Naja, es war aus. Für ihn natürlich schon seit drei Wochen. Und für sie? Nun, ihre Zeit wurde natürlich vergeudet, verbraucht, ist vorbei. Als Frau ist deine Zeit ja nichts wert. Geduldig wartest du, um deinen Stolz wie ein rohes Ei zu behüten. Und dann ist es genau diese Geduld, die dich um deinen kostbaren Stolz bringt. Was kann man tun? Vielleicht war ihre Zeit schon konsumiert, bevor sie diesen Typen überhaupt getroffen hatte.« Nervös wippt sie etwas auf und ab und wendet ihren Blick vom Aschenbecher direkt auf André: »Ganz genau, zur Eisprinzessin-Werden programmierte den Betrug um die Zeit schon vor. Nicht, dass sie eine Wahl gehabt hätte. Die Frau, die ihrer Zeit eine höhere Bedeutung beimisst, wäre für diesen Kerl gar nicht in Frage gekommen. Kein Stolz, verstehen Sie? Also, ohne Stolz kein Wert, ohne Wert keine Eroberung.«
André sitzt in Prijas Küche, etwas unnatürlich, mit einem Martini in der Hand. Er hat eigentlich wenig Zeit zu verlieren – im Gegensatz zu Prija: sie dreht sich eine Zigarette, zündet sie an, lehnt sich zurück und überschlägt die Beine.

»Später war sie mit diesem anderen Kerl zusammen. Jahrelang. So lang...aus Liebe? Nein. Ich meine - vielleicht doch; wie das eben so ist. Man ist lange zusammen, ja aus Liebe. Teilt seinen Alltag, seine Wohnung, sein Geschirr, ich meine, sie teilten sich sogar ein Bankkonto. Der Haken war, diese Freundin, nennen wir sie der Einfachheit halber Rosalie, sie ist wohl eine der unselbständigsten Leute, die ich so kenne. Klassischer Fall der Bourgeoisie-Behinderung. Ihre Eltern waren immer reich, sie musste nie einen Finger krümmen. Sie hatten sogar eine Haushälterin. Ich glaube, sie weiß nicht einmal, wie man einen Staubsauger bedient. Ihre Eltern gingen jedenfalls irgendwann bankrott. Sie musste also allein klarkommen. Wissen Sie, Rosalie hat einen gewissen Charme. Man kann nicht Nein zu ihr sagen. Also schuf sie sich über die Zeit eine Art Netzwerk von Leuten, die ihr mit allem Möglichen halfen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe Rosalie, und die Leute, die ihr helfen, bestimmt auch, aber sie ist nun mal wer sie ist. Rosalie... Nun denken Sie, ihr Charme ist wie ein Zaubertrunk, eine Geheimwaffe, ein Wunder. Sie kann machen, was sie will, es wird immer jemand kommen, der oder die ihr das ermöglicht. Doch die Wahrheit ist, diese Macht ist ihr Fallstrick. Seit Jahren nun möchte sie ihren Freund verlassen, doch ihre Insektenphobie holt sie immer wieder ein. Tragisch. Sie waren vielleicht zwei Tage getrennt, als sie bemerkte, dass eine riesige Spinne in ihrem Badezimmer hauste. Dann kamen sie wieder zusammen. Ein Zufall? Ich glaube nicht. Natürlich hätte sie andere Helferinnen und Helfer, die ihr verfallen waren, anrufen können. Doch die Peinlichkeit jemanden zu rufen, nur um eine Spinne zu entfernen, ertrug sie nicht.«
André blickt auf die Uhr. Er wird ungeduldig. Doch Prija ist nicht zu stoppen.

»Mir hätte das nichts ausgemacht. Ich bin immun gegen diese Biester. Nicht wie meine Freundin Vicki. Immer dann, wenn etwas ›erledigt‹ werden musste, hat sie ihren Freund, wenn der nicht zu erreichen war, ihre Affäre, und wenn sie diese nicht erreichte, ihren Bruder angerufen. Sie war nicht wie Rosalie, die einen Haufen Menschen um sich hatte, die ihr blind zugetan waren. Ich meine, sie war nicht einmal auf diese Männer angewiesen wie Rosalie: Sie hätte alles selbst tun können, hatte jedoch keine Lust ihre Hände zu rühren und nutzte daher jede Gelegenheit, dies auch nicht tun zu müssen. Sie wollte auch keine Arbeiterhände haben und in die Sonne ging sie schon gar nicht. Ihr Nihilismus ist dabei keine Einstellung, sondern nichts mehr als pure Faulheit, ergo pure Verantwortungs­losigkeit. Sie ist so verantwortungs­los, dass sie sich nicht einmal die Mühe macht, eine eigene Meinung zu haben. Etwas, das nicht schon jemand anderes verifiziert hatte, war sowieso ein zu großes Risiko. Eine zu große Verantwortung, Autorin eigener Gedanken zu sein. Also machte sie es den Leuten recht und plapperte ihnen nach. Wie ein Papagei, nur zeitversetzt. Sie plapperte nicht unbedingt ihrem Gesprächspartner, sondern einfach irgendwem nach. Wenn es eng wurde, konnte sie sich auf den Urheber ihrer Worte berufen. Trotz dessen war sie eine wahre Quasselstrippe. Wirklich merkwürdig. Nichts zu sagen haben, aber viel reden. Ich meine, sie hatte schon gar kein Gefühl mehr dafür, wann es mal reichte. Ich vermute, sie hatte sich schon so sehr daran gewöhnt, das Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein, dass sie schon gar nicht mehr wusste, ob sie das überhaupt noch wollte.«
André ist endlich mit seinem Martini durch. »Soll ich schonmal anfangen?«, fragt er.
»Selbstverständlich! Hoffentlich sind dort nicht zu viele Spinnweben, zugegeben, ich habe diese Ecke schon seit einiger Zeit vernachlässigt«, antwortet Prija. André begibt sich Kopf voraus unter die Spüle und fängt an zu schrauben.


»Jedenfalls kann ich diesen Frauen auch nichts vorwerfen. Schönheit als Ausrede: Das muss doch erst einmal jemand durchgehen lassen! Würden Sie etwas tun, das Sie nicht tun müssen? Ich möchte Ihnen nicht zu nahetreten, aber ich schätze die Antwort lautet Nein. Sie lautet immer Nein. Ich mach mir da nichts vor wie die alten Männer, die versuchen, ihren jungen Frauen etwas zu lesen zu geben. Wer nicht herausgefordert wird, trainiert nicht für den Wettkampf. Wozu etwas beweisen wollen, wenn dir sowieso niemand glaubt? Russ*innen und Thailänder­*innen, die sich in den Augen willens­schwacher Europäer des Golddigging verdächtig machen. Während sie sich selbst ins Fäustchen lachen, dass weiße Konten für ihre rassistischen Exotismen ausgeräumt werden. Wer glaubt ihnen schon, dass sie sich etwas nehmen können, das in Wahrheit ihnen gehört? Natürlich lasse ich mir den Drink spendieren. Als könnten sie wirklich denken, dass ihre Frauen ihnen intellektuell so unterlegen seien. Sie wissen, dass ihre Vorurteile nichts mehr als das sind, sonst hätten sie kaum solch eine Angst.«

Prija drückt ihre Zigarette aus und fängt an neue Martinis herzustellen. »Wollen Sie noch etwas trinken?« André findet seinen Weg aus dem Spülenunterschrank und richtet sich auf. »Danke, nein. Ich bin schon fertig.«
»Ach ja? Das ging ja flott. Sie sind mir ja ein begabter junger Mann.«
»Ja, ich bin schnell. Aber diesmal war es auch nicht schwer. Da war nur eine Schraube, die etwas locker hing.« »Ach ja? Da hätte ich mir ja glatt selbst die Mühe für machen können. Das tut mir jetzt aber leid.«
»Schon gut, ich stelle der Hausverwaltung trotzdem meine Rechnung.«

Prija holt ihr Portemonnaie heraus und hält ihm einen Geldschein entgegen: »Für Ihre Mühe.« Er nimmt den Schein entgegen und nickt ihr dankend zu. Seine Sachen sind schnell gepackt und genauso schnell ist er aus der Tür.




Kurzgeschichte, 28/05/2020,
Ila Mägdefrau
Fotografie: Sabina Burkhard




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